Seit ich denken kann ist Sport für mich ein essentieller Bestandteil meines Lebensinhalts. Ich bin damals praktisch in einem Kanu aufgewachsen, habe schon sehr früh angefangen Rennen zu fahren und Medaillen wie auch Pokale auf dem Kleiderschrank gesammelt. Es wurden mehr und mehr, noch ein bisschen mehr und schlussendlich noch mehr.
Heute mit fast 30 Jahren und den Rückblick auf meine sportliche „Karriere“ fange ich an einen Sache zu verstehen. Ich fange an zu verstehen, dass Sport nicht nur dem Spaß heraus entwachsen ist, sondern auch der der Kompensation. Ich habe also den Sport oft als Mittel der Kompensation gewählt, dann wenn ich traurig war, wenn ich Schmerzen fühlte und auch dann, wenn ich in depressive Stimmungen hineinrutschte. Dann wenn mir alles über den Kopf wuchs, ich gestresst war oder vor Wut hätte platzen können. Nach einem harten Workout war alles wie vom Erdboden verschluckt. Es war einfach nicht mehr da. Es war wie diese eine magische Pille, die sich viele von uns wünschen.
Doch jede magische Pille hat eine Nebenwirkung, gar vielleicht eine Wirkung die die vermeintlich positive weitaus überragt. Nehmen wir also den Sport zur Kompensation, so verdrängen, unterdrücken und schieben wir die eigentliche Ursache dieser gerade empfundenen Emotion von uns weg. Möglicherweise so weit, dass wir völlig den Bezug dazu verlieren.
Das heißt auf gewisse Art und Weise, dass wir das spüren, das fühlen aufgeben und es durch Abstumpfung ersetzen. Doch was wenn wir nun krank werden, wir zeitgleich in Trauer, negative Gedanken und andere Muster verfallen? Wenn der Sport dann plötzlich keine Option zur Kompensation mehr darstellt?
Dann bricht für viele eine Welt zusammen. Die Pille fängt damit an langsam ihr wahres Potential zu entfalten und dies nicht in Richtung des für uns vorteilhaften. Viele erleiden einen Identitätsverlust, schwimmen ausschließlich in negativen Gedanken und landen eventuell gar in einer länger anhaltenden Depression.
Worauf möchte ich also hinaus? Verdammt viele von uns nutzen den Sport zur Kompensation. In einem gewissen Maß, welches von Individuum zu Individuum unterschiedlich ist, ist dieses durchaus fördernd und gesund. Für viele wird dieses Maß allerdings überschritten und es entstehen seelische Leiden, körperliche Beschwerden oder weitaus schlimmere Gegebenheiten. Diese haben wir selbst zu verantworten.
Wie aber setzen wir hier auf ein richtiges Maß? Indem wir uns bewusst machen, wann wir Sport sinnvoll zur Kompensation einsetzen und wann wir uns lieber mit der darunter liegenden Sache konfrontieren sollten. Sich mit der darunterlegenden Sache zu konfrontieren ist sicherlich keine leichtes geschweige den angenehmes Unterfangen, ganz im Gegenteil. Es wird einen in die tiefsten Ecken des Innenlebens führen und diese sind durchaus dunkler als sich so mancher von uns vorstellen kann.
Unterdrücken wir diese aber immer wieder durch die Kompensation des Sports, so werden die Signale aus dem inneren stärker. Umso mehr wir also unterdrücken, umso stärker wächst der Druck von innen. Dieser Druck führt im schlimmsten Fall dann dazu, dass wir schlussendlich Schiffbruch erleiden, dass wir alles und allen voran jeden Aspekt unserer Selbst in Frage stellen. Und schlussendlich möglicherweise sogar fragen: Wer bin ich?
In einer Welt in der Sport so stark kommerzialisiert ist, ist es schwer den Sport für das zu sehen, wofür er am passendstem wäre. Models werden immer dünner, Athleten sehen auf jedem Bild noch gerippter aus und alles scheint sexy und schön zu sein. Jedenfalls Photoshop und unzähliger Filter sei dank. Bei uns setzt sich also schon in jungen Jahren ein Bild fest, welches einem Ideal entspricht, dass auf Photoshop gegründet wurde. Versteht mich nicht falsch, sicherlich nicht bei jedem der Fall, aber die Masse macht’s. Allein dadurch preisen wir den Sport für einen Idealismus, der oft wenig mit der Realität und noch weniger mit Langfristigkeit zu tun hat. Schließlich wir ein Körperideal nicht exakt so ein Leben lang erhalten bleiben können. Aus dieser Illusion wird als für viele eine vermeintliche Realität. Aus der vermeintlichen Realität, wird dann oft eine Kompensation.
Betrachten wir das Ganze von einem anderen Blickwinkel: Während man sich vor tausend Jahren noch wenig Gedanken um Bewegung machen musste, ist das Thema aufgrund unseres Sitzathletismus nicht mehr wegzudenken. Das ist gut so, denn würden wir uns nicht bewegen, würden wir alle verkümmern. Auf perverse Art und Weiße wie viele Beispiele zeigen. Wir werden praktisch dazu gewachst, 10000 Schritte am Tag zu gehen, diese per Tracking zu visualisieren und das Thema dann „Gott sei gnädig“ für den Tag abgehakt zu haben. Es entsteht ein Bild des Zwangs, das auf panischer Messung und unbeachtet der individuellen Gegebenheiten basiert. Wir fangen an jeden einzelnen Schritt zu regulieren und uns in noch mehr Regeln zu vertiefen. Als hätten wir nicht schon genügend Regeln. Es entsteht wieder eine Art der Kompensation, in einer anderen nicht ganz so zerstörerischen, aber dennoch nicht gesunden Form.
Wie wir sehen ist Sport, viel besser beschreibt es aber im Allgemeinen Bewegung, aufgrund unseres in der Regel sehr einseitigen Alltags, nicht mehr wegzudenken. Es ermöglicht uns einen entsprechenden Ausgleich zu eben diesem. Ausgleich ist hier das Stichwort, eben nicht Kompensation. Bewegung gibt uns damit also Möglichkeit, nein viel eher die Chance, langfristig gesund und vital zu bleiben. Sport als Kompensation macht uns dagegen, über ein gesundes Maß hinaus, krank. Sowohl körperlich als auch mental.
Wie aber finde ich das richtige Maß und wer sagt überhaupt was richtig ist? Jeder Mensch ist so individuell, so dass es für jeden ein eigenes Patentrezept gibt. Kein Musterrezept wird diese Individualität je abbilden können, kein einziges. Es gibt grundsätzlich eine einzige Lösung, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Herauszufiltern welche Art und in welcher Form Sport die richtige Kompensation ist und wann eben nicht. Das können wir nur herausfinden indem wir tief in uns eintauchen und die Ursprünge der auftretenden Emotionen begutachten.
Was ist Sport für dich und in wie weit ist Sport für dich eine Art Kompensation?